Panel 2 - Unter-und Fehlernährung
"Fehlernährung" ist eine ernährungsbedingte Gesundheitsstörung, die durch eine für den Körper unangemessene Zusammensetzung der Nahrung entsteht. Es kann sich dabei um Unterernährung, Vitaminmangel oder Überernährung handeln. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass die Hälfte der Menschen, ca. 3 Milliarden, an einer Art von Fehlernährung leiden. Jeder fünfte Mensch in den Entwicklungsländern leidet an der schlimmsten Art von Fehlernährung - an Hunger. [Gardner2000]
Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass ein Teil der Fehlernährung in den armen Ländern durch einen ungleichen Zugang zu Lebensmittelreserven, und nicht durch eine mangelnde Lebensmittelherstellung, entsteht. Die auf der Welt hergestellte Nahrung reicht theoretisch für die gesamte Weltbevölkerung aus, aber zu viel wird als Tierfutter verwendet, anstatt direkt bedürftige Menschen zu ernähren. Trotzdem steigt die Nachfrage nach Fleisch und Milch in den Entwicklungsländern dramatisch an.
Die Anzahl der Bevölkerung ist in den Entwicklungsländern zwischen 1970 und 1995 durchschnittlich um 2,1% pro Jahr gestiegen, während der gesamte Fleischkonsum um 5,4% pro Jahr (mit einer Zunahme von 14 kg pro Kopf 1983 auf 21 kg pro Kopf 1993) und der Milchkonsum um 3,1% pro Jahr gestiegen sind (von 35 kg pro Kopf im Jahre 1983 auf 40 kg im Jahre 1993). In den entwickelten Ländern wird im Vergleich sogar viermal so viel konsumiert. [IFPRI1999]
Einige wenige Tiere weiden auf landwirtschaftlich nicht nutzbaren Böden und andere ernähren sich von Abfallprodukten innerhalb eines Rotationszyklus in der traditionellen Landwirtschaft. Das Problem ist aber, dass die meisten Zuchttiere viel mehr durch Pflanzen aufgenommene Kalorien verbrauchen als sie in Form von Fleisch, Milch und Ei "herstellen": als "Maschinen", die pflanzliche Proteine in tierische umwandeln, sind sie absolut unergiebig. Das Umwandlungsverhältnis zwischen Tierfutter und Nahrung für Menschen variiert, je nach Tierart, zwischen 1:30 und 1:4.
Organisationen wie WHO, FAO und die Weltbank machen sich immer mehr Sorgen um die Auswirkungen der industriellen Tierzucht auf die landwirtschaftlich nutzbaren Böden und um die daraus folgende (mangelnde) Möglichkeit die Welt auf wirksame Art zu ernähren. Sie behaupten: "Die Zunahme des Konsums an Tierprodukten in Ländern wie Brasilien und China hat (auch wenn der Verbrauch noch deutlich unter dem von Nordamerika und den meisten Industrieländern liegt) beträchtliche Auswirkungen auf die Umwelt. Während man auf einem Hektar pro Jahr Kartoffeln für 22 und Reis für 19 Menschen herstellen kann, sinkt die Zahl auf 1 oder 2 Menschen, wenn man Rind- oder Lammfleisch herstellt. Auch die Nachfrage nach Wasser wird zu einem der größten Probleme dieses Jahrhunderts. Auch in diesem Fall wird eine deutlich höhere Menge für tierische Produkte als für pflanzliche verbraucht." [WHO/FAO2002].
Das International Food Policy Research Institute (IFPRI) bestätigt, dass eine "Livestock Revolution" (Viehrevolution) stattfindet und dass sich der Konsum pro Kopf in den Entwicklungsländern binnen 2020 auf 30 kg Fleisch - eine Zunahme von 43% gegenüber 1993 - und 62 kg Milch - eine Zunahme von 30% - belaufen wird. Die Gesamtquote von in Entwicklungsländern hergestelltem Fleisch wird von 36% auf 47% und Milch von 24% auf 32% ansteigen. [IFPRI1999]
Nur mit der Intensivzucht und Tierfutter auf Getreidebasis kann dieser Nachfrage nachgekommen werden. Der Anbau in Entwicklungsländern geht zügig von der Nahrungsherstellung für Menschen auf Herstellung von Tierfutter über: 1983 wurden durchschnittlich 128 Millionen Tonnen als Tierfutter genutzt, 1993 ist die Menge auf 194 Millionen Tonnen gestiegen. In diesem Jahrzehnt ist der Gebrauch von Futter um 4,2% pro Jahr angestiegen, während die interne Produktion nur um 2,3% pro Jahr gestiegen ist, was die Entwicklungsländer dazu zwang, Getreide aus dem Ausland zu importieren. Die Herstellung von Tierfutter statt Nahrung für Menschen unterstützt einen absolut unwirksamen Umwandlungsprozess und der Import von Weizen aus den reichen Ländern erhöht natürlich noch deutlicher das Problem der Unterernährung.
In den Entwicklungsländern verbrauchen die meisten Menschen, die sich angemessen ernähren, sehr wenige (oder gar keine) tierischen Produkte. Und ihre Ernährung - die hauptsächlich aus Getreide, Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst besteht - erfüllt alle Voraussetzungen für eine angemessene Ernährung. Eine viel größere Anzahl von Menschen könnte sich bei gleichem Verbrauch von Rohstoffen auf diese Weise ernähren. Das Gegenteil tritt ein, wenn die Ernährung einen hohen Anteil an tierischen Produkten enthält.
Verschiedene öffentliche und private Institutionen fördern die Verbreitung von Intensivtierhaltungen für die Herstellung von Fleisch und Milch. Dies müsste aus umweltlichen und gesundheitlichen Gründen aufhören. Den Anforderungen der 2-3 Milliarden von Menschen, die zur Zeit mit 2$ oder weniger pro Tag leben, zu denen man weitere 2 Milliarden Menschen zählen muss, die in den nächsten 20 Jahren voraussichtlich hinzukommen, kann nur mit einer angemessenen traditionellen Ernährung nachgekommen werden. Tierische Produkte gehören zu den am wenigsten ergiebigen Ernährungsquellen überhaupt. [Goodland2001]
Die entwickelten Länder verbrauchen am meisten tierische Produkte und sind damit die Hauptverantwortlichen für diese Verschwendung von Rohstoffen. Wenn die reichen Länder ihren Verbrauch von mit Getreide gefütterten Tieren um 10% verringern würden, könnten 64 Millionen Tonnen Weizen für einen direkten Verbrauch für Menschen "freigegeben" werden. Dies könnte den Bedarf, der aus dem Bevölkerungswachstum entsteht, für weitere 26 Monate decken. Eine Reduzierung von 20% würde den Bedarf für mehr als 4 Jahre decken. Und die Vorteile für die Gesundheit würden die Pflegekosten stark senken. [Stewart1996]
Außerdem ist aufgrund der "Verwestlichung" der Ernährung in einigen Entwicklungsländern wie China und Brasilien, die Anzahl der überernährten Menschen mehr oder weniger gleich hoch wie die der unterernährten. So müssen diese Länder einen Gesundheitskampf auf zwei Fronten kämpfen, einerseits indem sie versuchen die Verbreitung von Degenerationskrankheiten wie Krebs und Herzkrankheiten aufzuhalten, und andererseits müssen sie gegen die Infektionskrankheiten kämpfen, die unterernährte Menschenmassen plagen. [Gardner2000]
Die Experten der öffentlichen Gesundheit sind besonders wegen dem Anstieg der Degenerationskrankheiten besorgt, weil die Kosten für jede einzelne Behandlung viel höher sind, als die für die Behandlung von Infektionskrankheiten. Deshalb sind die Degenerationskrankheiten eine wirkliche Bedrohung für den Versuch die Armut der Entwicklungsländer zu mindern und somit auch für ihre wirtschaftliche Stabilität.
References
[Gardner2000]
Gardner G., Halwell B., "Underfed and Overfed: The Global Epidemic of Malnutrition", World Wathc Institute Paper 150, March 2000
[Goodland2001]
Goodland R., The Westernization of Diets - The Assessment of Impacts in Developing countries - with special reference to China, DRAFT, 2001
[IFPRI1999]
IFPRI, FAO, ILRI, "Livestock to 2020 - the next food revolution", IFPRI, May 1999
[Stewart1996]
Stewart H. "Limits to growth: facing food scarcity", Canada EarthSaver, august/September 1996.
[WHO/FAO2002]
WHO/FAO, Diet, nutrition, and the prevention of
chronic disease. Report of the Joint WHO/FAO expert
consultation, 26 April 2002.